Martin Rost
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Vorbemerkung

Dieser Text ist veröffentlich in:
Harmonica Player - Unabhängiges Fachblatt für Mundharmonikaspieler
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Antonio Serrano

Am Sonntag dem 15. März 1998 spielte Antonio Serrano, zusammen mit den Kielern Philharmonikern im Konzertsaal des Kieler Schlosses, auf. Auf dem Programm standen zwei Stücke für Mundharmonika und Orchester, das eine von Heitor Villa-Lobos, das andere von Malcolm Arnold. Das Villa-Lobos-Konzert wurde 20 Jahre nach dessen Uraufführung von Tommy Reilly 1979 wiederentdeckt und gilt seitdem als Quasi-Klassikstandard für die Chromatische.

Antonio Serrano wurde in Madrid geboren. Seine Karriere begann mit sieben Jahren, mit neun bekam er seinen ersten Preis im "iberischen Musikwettbewerb für Akkordeon und Orchester". 1992 gewann er beim sechsten Eurovisions-Wettbewerb für junge Musiker einen zweiten Preis. Dies ist natürlich eine enorme Leistung angesichts der Exotik seines Instruments und des Konservatismus des etablierten Musikbetriebs. Im Programmheft wurde Serrano als weltweit führender Mundharmonika-Virtuose ausgewiesen. Na ja... das ist ja ein gar nicht mal so selten vergebener Titel, dachte ich noch so bei mir. Was Serrano dem Kieler Publikum an diesem Abend dann bot, beeindruckte ganz offenbar noch die tumbsten Abonnement-Absitzer, wenn man den Wonne-Gesichtsausdruck beim Klatschen zum Maßstab nimmt. Und auch die gestandenen Musiker des Orchesters verbargen nicht ihre Bewunderung.

Serrano intoniert und phrasiert mit einer wie ich glaube nicht weiter steigerbaren Klarheit und Schönheit. Das Rauf und Runter der Skalen war von einer elektrisierenden, quälenden Präzision. Ich habe in den schnellsten Läufen keinen nur klitzekleinen Fehler gehört. Statt mich einfach dem Zauber dieses Großmeisters hinzugeben, bettelte ich innerlich immer dringlicher darum, endlich bitte bitte nur einen klitzekleinen Kiekser, eine Dynamikschwankung, eine nicht ganz perfekte Auflösung einer Rhythmisierung oder zumindest doch wohl ein minimal schräges Bending hören zu dürfen. Ein Fehler von so geringem Ausmaß, daß vielleicht nur ein hypersensibilisierter Harpspieler ihn hörte, hätte mich regelrecht erlöst, weil dann hätte ich mir sicher sein können, daß es sich da vorne um einen Menschen handelte... Nein - kein Fehler, unbegreifliche Perfektion. So war ich noch während der Pause wie besoffen und konnte nicht fassen, wie die Menschen um mich herum unbeeindruckt und mit klarem Blick an ihrem Sektglas schlürfen konnten. Und das aufregendste: Serrano macht trotzdem den Eindruck, ein richtig erdiger Musikant und keine nur hochgezüchtet-seelenlose Musikmaschine des Klassikbetriebs zu sein. Wer glaubt, daß das ja wohl nicht zusammengehe - Brillianz und straßenmusikalische Fun-Lässigkeit - hat eben Serrano noch nicht gehört. Daß das zusammengeht, wurde noch einmal ganz besonders deutlich, als er bei der Zugabe ein spanisches Traditional spielte.

Einmal im Leben muß ein Harpspieler Serrano live spielen gehört haben - zumal es von ihm wie es scheint auch noch keine CD mit den Stücken gibt. Gut daß er ein Europäer ist, so stehen die Chancen ziemlich gut, ihn wieder einmal live hören zu dürfen. Ich ärger mich noch immer über meine Nachlässigkeit, nicht allen Musikern um mich herum Bescheid gegeben zu haben.