Martin Rost
Publikationen

Vorbemerkung

Dieser Text enthält das Kapitel "Warum ist die Möglichkeit zur anonymen Kommunikation so wichtig?" aus der Broschüre:
Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (Hrsg.), 2002: Sicherheit im Internet durch Anonymität: S. 39-47
Die Broschüre kann in gedruckter Version kostenlos beim ULD-Schleswig-Holstein (http://www.datenschutzzentrum.de) oder als pdf-Datei unter der URL
http://www.datenschutzzentrum.de/download/anonheft.pdf
bezogen werden. Die Broschüre enthält darüberhinaus weitere Artikel zur datenschutzrechtlichen Beurteilung von Anonymität und zu technischen Aspekten der Herstellung von Anonymität im Internet.
- http://www.maroki.de/pub/privacy/mr_gfanon.html
- E-Mail: martin.rost_at_maroki_de
("_at_" bitte durch "@" ersetzen, "_de" bitte durch ".de")

Warum ist die Möglichkeit zur anonymen Kommunikation so wichtig?

Martin Rost

Auf die Frage, warum die Möglichkeit zur anonymen Kommunikation wichtig ist, läßt sich eine knappe, umstandslose Antwort geben: Weil Anonymität für die moderne Gesellschaft konstitutiv ist.

Es gibt in der modernen Gesellschaft an vielen Stellen Bedarf nach Nichtzurechenbarkeit von Kommunikationen und Handlungen auf Personen. Als erstes denkt man da vielleicht an die gleichen und geheimen Wahlen des demokratischen Rechtstaats. Die Nichtzurechenbarkeit der Stimmabgabe erleichtert es auf der individuellen Ebene, »Nein!« zu sagen, und auf der sozialen Ebene, dass politische Programme wechseln. Oder man denke an die Wissenschaft: Die Begutachtung von Artikeln für massgebliche wissenschaftliche Zeitschriften geschieht ohne das Wissen darum, wer als Autor und Gutachter agiert. Auch nach der Publikation stellt sich die Feststellung der Wahrheit erst in einem diskursiven, ergebnisoffenen Verfahren ein, an dem viele namentlich nicht festgelegte Personen die Chance haben, sich zu beteiligen. Nicht zuletzt spielt Anonymität ökonomisch eine Rolle: Man gibt Geld hin und nimmt das Gewünschte entgegen, ohne dass mit diesem Tausch auch zwangsläufig die persönlichen Daten gewechselt werden müssen. Es bedarf auch keiner Emotionen füreinander. Man geht in der Form des Geldtausches eine soziale Beziehung auch mit demjenigen ein, den man nicht kennt, der einem gleichgültig ist und der dies üblicherweise auch weiterhin bleiben kann.

Auch in anderen Zusammenhängen wird die Bedeutung der Anonymität deutlich. Man denke nur an die Anonymen Alkoholiker, die einander helfen, ohne sich beim Namen zu kennen. Anonymität ist für sie unverzichtbar, ohne Übertreibung in einigen Fällen sogar überlebenswichtig. Das AN.ON-Projekt nahm seinen Anfang aus einer ganz ähnlichen Problemlage: Mögliche Ecstasy-Konsumenten sollten sich per Internet anonym an eine Drogenberatung wenden können, ohne dass die Hilfesuchenden in Sorge sein mussten, dass allein durch die Kontaktaufnahme ihre Identität zwangsläufig offenkundig wurde oder durch Dritte hätte beobachtet werden können.

Kurzum: Ohne Chance auf Anonymität wäre kein demokratisches System denkbar, keine Wissenschaft, deren Wahrheitsabsicherung einzig auf vorbehaltloser Kommunikation gründet, kein freies, offenes Marktgeschehen und schließlich in vielen Fällen keine Hilfe selbst in extremen Notlagen möglich.

Anonymität ist ein Phänomen der Moderne

Die Bezeichnung »anonym« entstand im Zusammenhang mit Schriften («Anonyma«), die ohne Namen des Verfassers überliefert sind oder deren Verfasser sich selbst nicht zu erkennen geben wollen. Mit dem Buchdruck, also einer frühen Informationstechnik, entstand erstmals systematisch die Möglichkeit zur Entkoppelung von Urheberschaft und der Zurechnung von Gesagtem zu einer bestimmten Person. Die Verbreitung von Gedrucktem für die Allgemeinheit, das sich anders als ein Brief an viele unbekannte Leser richtete, veränderte auch die Form der Argumentation. Der Autor musste seinen Text auf einen generalisierten Leser ausrichten und deshalb abstrakter, das heisst: von konkreten Kontexten unabhängiger, argumentieren, mit der Folge, dass die Argumentation zunehmend Halt an übergreifenden Standards (wie Gewicht, Länge, Ort, Zeit, Material, Variationen von Themen zunächst primär aus dem allgemeinen religiösen Wissensfundus) sowie logisch an sich selber finden musste.

In den großen Metropolen bricht, spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zunehmend die Zuordnung von sozialen Funktionen und Bezirken auf. Man denke an die Zünfte der Gerber, Korb- und Radmacher, Schneider, Kunsthandwerker, Buchhändler, Geldleiher, Arbeiter usw. Allein die grosse Zahl der mit dieser Entwicklung entstehenden »unsortierten« Begegnungen nötigt in einer Großstadt zu einem Modus der gegenseitigen Beobachtung, der sich zunächst weitgehend darauf beschränken kann, die Körper so zueinander zu arrangieren, dass sie bei zufälligen Begegnungen nicht miteinander kollidieren. Stadtluft macht frei. Wie bei den Technikfolgen des Buchdrucks so ist auch diese Entwicklung von einer Generalisierung begleitet: Es entsteht die Option, jemanden als einen »bloss Anderen« wahrzunehmen und nicht zwangsläufig als »Freund oder Feind«, »gehört-zu-uns oder gehört-nicht-zu-uns« oder als »nützlich oder unnütz«.

Diese städtische Kultur des kalkulierten Ignorierens breitet sich heutzutage, im Zuge der Nutzung moderner Kommunikationstechniken sozusagen »stadtübergreifend«, global aus. Durch diese verallgemeinerte Verstädterung werden neue Formen vertrauensbildender Massnahmen eingeübt. »Der Andere« wird zu einem generalisierten Anderen, der weder Zuneigung noch Abneigung beansprucht oder provoziert, sondern der mit universalisierter Achtung rechnen darf bzw. diese schlicht beansprucht. Niemand muss sich im Alltag grundlos legitimieren oder kann von anderen eine Rechtfertigung verlangen - selbst Missgeschicke, wie etwa das Auffahren auf ein anderes Auto, werden zunehmend weniger moralisiert, sondern schlicht funktional abgewickelt. Man wird im positiven Sinne - darf man sagen: in einem zen-buddhistischen Sinne? - füreinander gleich-gültig. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass nicht-gleich-gültige Beziehungen gestiftet werden müssen, um der unter Umständen auch als bedrückend empfundenen Anonymität unter Wohnungsnachbarn eines städtischen Hochhauses zu entgehen. Gemeinschaft versteht sich dann, entgegen dem traditionellen Verständnis, eben nicht länger von selbst.

In vormodernen Zeiten gab es derartig anonyme Sozialbeziehungen eher nicht. Bei jeder Begegnung in einer mittelalterlichen »Stadt« taxierte man einander und wies sich, auch wenn man sich nicht bei Namen kannte, oder möglicherweise zum Teil kaum über einen Namen verfügte, einen eindeutigen Status zu, wofür vermutlich schon die strenge Kleiderordnung hilfreich war. Es war klar, wer auf wen in welchem Maße mehr oder weniger willkürlich zugreifen durfte. Es gab für alles in der Welt eine logisch oder mental befriedigende, meist hierarchisch organisierte Ordnung der Dinge. Diese soziale und mentale Eindeutigkeit ging in Westeuropa, im Zuge der Umstellungen der Moderne, dann weitgehend verloren bzw. wurde, wie etwa Religion, zur Privatsache erklärt. Das Gute, Wahre und Schöne fiel auseinander. Genau an diesem Punkt der Differenzierung, diese Nebenbemerkung sei gestattet, stehen nunmehr die als fundamentalistisch-religiös bezeichneten Staaten.

Das Potential der Moderne

Parallel zur oben kurz geschilderten Generalisierung in der Wahrnehmung des Anderen entstanden Ordnungsmuster, die die traditionellen Ordnungskapazitäten von den bis dahin führenden Organisationformen, hierbei denke man an Manufakturen, Klöster, Zünfte, Märkte in den Schatten der Kirchen, Höfe usw., überstiegen. John Locke provozierte um 1660 herum die Anhänger zentral-absolutistischer Führungskonzepte mit Überlegungen zu komplizierten Regelungsmechanismen durch eine »Drei-Gewalten-Teilung« mit einer gegenseitigen Kontrolle von Exekutive, Legislative und Jurisdiktion. Adam Smith formulierte etwa 100 Jahre später die rätselhafte »invisible hand« des Marktes, die deutsche Hochphilosophie spürte den Offenbarungen der Vernunft in der Natur, des Ichs und der Geschichte nach. Und knapp ein weiteres Jahrhundert später schüttelten Charles Darwin und Karl Marx die Welt der Theorien ein weiteres Mal mit ihren Thesen durch, wonach es organisationsübergreifend-allgemeine Ordnungsmuster der ganz eigenen Art gäbe.

Inzwischen sind die Mechanismen derartig organisationsübergreifender Ordnungsmuster, speziell im sozialen Bereich, besser freigelegt und verstanden. Diese übergreifenden sozialen Ordnungen werden als »gesellschaftliche Subsysteme« (Niklas Luhmann) bezeichnet, die dazugehörige soziologische Theorie ist die der »funktionalen Differenzierung«. Im Kern besagt diese Theorie, dass sich Kommunikationssysteme speziell für Ökonomie, Politik, Wissenschaft und Recht herausgebildet haben, die sich anhand der Reproduktion von kommunikativen Elementarereignissen selbst organisieren. Jedes dieser Systeme reproduziert seine ganz spezifische Form durch Oszillation zwischen zwei Seiten eines kommunikativen Codes, wobei nicht eine der beiden Seiten, sondern die Oszillation zwischen ihnen, und damit beide einander widersprechende Seiten stabilisiert werden. Konkret heisst das: das Wirtschaftssystem verarbeitet Informationen durch die permanente Oszillation zwischen den beiden Seiten Zahlung/ Nichtzahlung, das politische System oszilliert zwischen Macht/ Nichtmacht, das Rechtsystem zwischen Recht/ Nichtrecht und das Wissenschaftsystem zwischen wahr/ falsch. Ökonomisch interessiert fortan allein die Verzinsung des Kapitals, die Politik oszilliert zwischen Regierung und Opposition und die wissenschaftliche Wahrheit gründet sich, überaus riskant weil unabschließbar vorläufig, auf die an Wahrheit/ Falschheit orientierte Kommunikation von Experten.

Als Ergebnis dieser neu sich zunächst vornehmlich in Europa herausbildenden übergreifenden Ordnungsmuster verändern sich die Formen der Organisationen und die Selbstbestimmung der Menschen. Im philosophischen Diskurs werden Menschen fortan als dem Wesen nach autonome Individuen, im politischen Diskurs zumindest im Prinzip als freie, souveräne Bürger ausgewiesen. Und Organisationen sehen sich vor das Problem gestellt, diese systematisch geschiedenen Funktionalitäten der gesellschaftlichen Subsysteme und die Selbstbestimmung der Menschen miteinander zu synthetisieren. Seitdem gilt: Nur diejenigen Organisationen, die über eine optimale Wissensverarbeitung und Marktinteraktion verfügen sowie politischen Einfluss nehmen und ihr komplexes Personal optimal in ihre Workflows einbinden, können sich in einer turbulenten Umwelt behaupten.

Die generelle Funktion von Organisationen besteht darin, Entscheidungen herzustellen. Dafür müssen sie, bei Strafe ihres sonstigen Unterganges, heutzutage mit Hilfe der modernen Informations- und Kommunikations-Technik die aus ihrer Sicht notorisch chaotische Umwelt und ihre ebenfalls komplexe Binnenwelt ihrer Mitglieder ordnen. Organisationen sehen sich deshalb permanent aufgefordert, ihre internen und externen Kommunikationsformen zu effektivieren, insbesondere um Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen und so die Transformationskosten in der Interaktion mit der Umwelt möglichst gering zu halten.

Im Übergang zur Moderne mussten Organisationen ihre einstigen Allbindungen von Menschen zu einem massgeblichen Anteil an die gesellschaftlichen Subsysteme abgeben. Während des Übergangs entstanden all die heute kursierenden Programmatiken zu demokratischen Verhältnissen in Staat, Ökonomie und Wissenschaft. Durch die enormen Informationsverarbeitungskapazitäten in den Händen moderner Organisationen gewinnen diese wieder beschleunigt, den Eindruck muss man heute gewinnen, die massgebliche Hoheit über die Menschen. Firmen basteln zum Beispiel an ihrem Customer-Relationship-Management (»CRM«) herum, um durch hoch auflösende Kundenprofile die Bindungen zu den Kunden zu intensivieren. Werbefirmen wie Doubleclick verfolgen den Clickstream der Interessenten über verschiedene Webseiten vieler Marktführer hinweg und erstellen zentralisiert Kundenprofile. Es werden Kundenkarten ausgegeben, die für einen geringen Preisnachlass Kunden zu Quasi-Mitgliedern von Firmen machen und er erlauben, sie in ihrem Kaufverhalten ebenfalls unter genaue Beobachtung zu stellen. Strafverfolgungsbehörden tragen, trotz des Labels »Rasterfahndung« von der Öffentlichkeit weitgehend unproblematisiert, behördliche Datenbestände von Energie- und Wasserversorgern und aus vielen anderen Wirtschaftsbranchen sowie von Hochschulen zusammen, um diese zentral auswerten und nach verdächtig/ unverdächtig sortieren zu können. Wissenschaftler vermessen Menschen bis in die Gene hinein, legen sie dadurch auf bestimmte Dispositionen fest und könnten somit, wenn bei Einstellungsverhandlungen Gen-Untersuchungen als Grundlage zur Abschätzung von Krankheitsrisiken genutzt würden, massgeblichen Einfluss auf die Biografien von Menschen nehmen.

Diese Zunahme an wieder mehr organisierter, sozusagen »stramm festgezurrter« Gesellschaftlichkeit bedeutet gesellschaftstheoretisch, zumindest auf den ersten Blick, eine gewisse Zurücknahme der bereits vollzogenen gesellschaftlichen Differenzierung. Diese Differenzierung war bislang dadurch ausgezeichnet, dass sie ein höheres Mass an Risiken erzeugte, mit dem Effekt einer enormen Verbesserung der ökonomischen, politischen, juristischen und wissenschaftlichen Systemleistungen.

Die neue Bedeutung der Anonymität

Aus dieser Sicht bedeutet das Verteidigen der Möglichkeiten zur anonymen Kommunikation ein Verteidigen der Funktionalität der gesellschaftlichen Subsysteme, deren zentrale Kommunikationen auch ohne namentlichen Bezug auf die jeweils konkret beteiligten Menschen auskommen. Anders formuliert: Sie bedeutet ein In-die-Schranken-Weisen der Ordnungsansprüche der informationstechnisch wieder mächtig gewordenen Organisationen. Wer für die Möglichkeit auch anonymer Kommunikationen plädiert, spricht insofern für Modernisierung.

In einer erweiterten Perspektive besteht die Funktion speziell des Datenschutzes darin, Organisationen permanent auf die Risiken der Moderne einzustimmen und diese zu einer Optimierung der Formen ihrer »Kommunikationsverwaltung« zu bringen. Dies gelang »dem Datenschutz« von dem Moment an, an dem ihm, organisiert und somit sozusagen auf Augenhöhe zu anderen Organisationen, ebenfalls die modernen Informations- und Kommunikationsmittel zur Verfügung standen. Datenschutz ist somit eine der wenigen auch praxisrelevanten Reflexionsinstanzen zum Management von Modernisierungsrisiken. Die Moderne sieht sich dabei immer der ergebnisoffenen Bewertung ausgesetzt, ob die Bilanz zwischen Chancen und Risiken stimmt. Politisch geht es um die Fortsetzung des Ausbaus der Vormachtstellung einer gewissen »Kultur der Gleich-Gültigkeit gegenüber dem »generalisierten Anderen«, um die politische Abwehr von »Wiedervergemeinschaftungsbestrebungen« mit unreflektierten, vorvertraglich-traditionellen, im Ergebnis vermutlich anti-demokratisch-patriarchischen Verhältnissen. Nur in einer Kultur der reflektierten Gleich-Gültigkeit kann es ein tatsächlich realisiertes Recht auf informationelle Selbstbestimmung geben.

Die Potentiale der Moderne sind dabei noch nicht ausgeschöpft. Sie ist noch nicht an ihr Ende angelangt, wie es vielleicht die seit 25 Jahren wohlfeile Formulierung der »Postmoderne« suggeriert. Sicher, naive Vorstellungen der Moderne über die Möglichkeiten zur Ausbübung gesellschaftlicher Kontrolle sind passé, jedoch lässt sich eine andere starke Traditionslinie moderner Argumentation ziehen: Im Zuge des Ausbaus der globalen, computergestützten Vollvernetzung steht derzeit die Durchdigitalisierung der Welt an. War das Industrialisierungsprojekt Anfang des 19. Jahrhunderts noch mit Materialbearbeitung befasst, so setzt sich die Entwicklung heute mit Informationsbearbeitung fort und rundet sozusagen das Gesamtprojekt ab. Stehen heute jedem Haushalt in Form von Elektrizität und Kleinstektromotoren »universalisierte Dampfmaschinen« zur Verfügung, so bietet das Internet einen über die Welt gezogenen, generalisierten Transmissionsriemen, der sogar bis in die Privathaushalte hineinreicht. Derzeit kann man durch die Vernetzung eine nochmals gesteigerte Beschleunigung der Industrialisierung in solchen Bereichen wie der Planung und Entwicklung, des Managements, der Verwaltung, oder genereller der Wissenschaft und der Dienstleistungen beobachten. Kennzeichnend ist, dass der Technisierung die Standardisierung von Kommunikation vorausgeht. Mit den Risiken, die mit dieser Technisierung einhergehen, wachsen zugleich auch die Mittel zu deren Beherrschung. Das ist der Stress, den die Moderne permanent auszuhalten verlangt. Konkret kann man, angesichts der durch Internetnutzung gestiegenen Datenschutz-Risiken, dabei an die im AN.ON-Projekt realisierten Mixe denken.

Identitätsmanagement

Es ist heute recht klar absehbar, dass schon bald sämtliche gesellschaftlich relevanten Kommunikationen, insbesondere die von Organisationen und deren Klientel, per Internet, oder zumindest: computergestützt, abgewickelt werden. Insofern muss Anonymität auch unter diesen Bedingungen gewährleistet sein, weil andernfalls, wie oben dargelegt, eine gesellschaftliche Entdifferenzierung droht. Insbesondere die Anforderungen an Anonymisierungstechnik in Computernetzen sind hoch, weil es sich hier, als Ergebnis der Industrialisierung auch des Ausübens sozialer Kontrolle, besonders bequem - eben: weitgehend automatisiert - beobachten lässt.

Die Technisierung der Kommunikation kann ein Bürger/ Kunde/ Arbeitnehmer nur dann schadensfrei bewältigen, wenn ihm seinerseits moderne Kommunikationstechnik dafür zur Verfügung steht, oder er es sich leisten kann, dass andere diese Arbeit für ihn übernehmen. Insbesondere müssen Techniken zur Verfügung stehen, die den differenzierten Umgang mit verschiedenen Organisationen unterstützen. Aus Nutzersicht gilt es, den Überblick zu behalten und zugleich vieles weitgehend automatisiert ablaufen lassen zu können. Als eine der ersten Entwicklungen in diese Richtung ist, neben AN.ON P3P («Platform for Privacy Preferences«) zu nennen, einem Standard zum automatisierten Aushandeln formalisierter Privacy-Policies zwischen Web-Browser und Web-Server.

Ungleich komplexere Überlegungen zu einer solchen Datenschutz verbessernden Technik («Privacy-Enhancing Technology« (PET)) firmieren unter dem Begriff des »technisch gestützten Identitätsmanagements«. Die Kernidee besteht darin, dass jeder Bürger über einen, problemlos bei sich zu tragenden, leistungsstarken persönlichen Computer (im Wortsinne eines tatsächlichen »Personal Digital Assistant«) verfügt, der maximal abgesichert eine Fülle persönlicher Daten im ausschliesslichen Zugriff seines Besitzers vorhält, die in bestimmten sozialen Situationen für die Lösung einer konkreten Interaktion herausgegeben oder besser noch: in den Rechner hereingeholt und prozessiert werden können. Hierbei denke man an Interaktionen mit der Stadt oder Gemeinde, mit der Krankenkasse und dem Krankenhaus, mit der Polizei, mit der Schule, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer usw.

Eine sehr wichtige Technik in diesem Szenario besteht aus »Convertible Credentials«. Credentials sind Beglaubigungen, die von einem Bereich in einen anderen Bereich umgerechnet werden können, ohne dass dadurch Daten zwischen den Bereichen getauscht werden müssen, und ohne dass die Reputation durch den Transfer verloren geht. Generell macht die Nutzung eines Identitätsmanagementsystems aber nur Sinn, wenn dieses auf einer verlässlich Anonymität gewährleistenden Infrastruktur aufsetzt. Deshalb kommt dem Gelingen des AN.ON-Projekts eine perspektivisch grundsätzliche gesellschaftliche Bedeutung zu.

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